Das 60-Milliarden-Loch und seine Folgen: Alles, was du jetzt wissen musst
Durch ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts fehlt dem Bund viel Geld. Die Investitionen ins Klima und die wirtschaftliche Transformation zu streichen ist keine Option. Die Bundesregierung hat 3 wesentlich bessere Möglichkeiten, um das Geld aufzutreiben.
Am 15. November 2023 geschah in Karlsruhe Historisches: Mit nur einem Hammerschlag
Gereicht hätte das Geld auch, um das Deutschlandticket für rund 15 Jahre komplett zu finanzieren. Dieses zumindest weiter zu bezuschussen, war nur einer der Klimaschutz-Posten, die die Ampel über einen sogenannten Nachtragshaushalt finanzieren wollte.
Aber der Reihe nach: Ursprünglich sollten die 60 Milliarden helfen, die wirtschaftlichen Folgen der Coronapandemie abzufedern. Um dieser außergewöhnlichen Notlage zu begegnen, hatte die Bundesregierung eine Ausnahme von der Schuldenbremse geschaffen, was in solchen besonderen Situationen verfassungsrechtlich zulässig ist.
Dieses Geld wurde für die Coronafolgen aber letztlich nicht benötigt. Daher verschob es die Bundesregierung 2022 mit einem Beschluss im Bundestag über einen Nachtragshaushalt in den »Klima- und Transformationsfonds« (KTF) – und zwar rückwirkend für das Haushaltsjahr 2021.
Wichtig: Dabei waren die 60 Milliarden Euro nicht für ein einzelnes Haushaltsjahr vorgesehen, sondern für Projekte, die sich über die gesamte Legislaturperiode hinziehen sollten. Sprich 15 Milliarden Euro pro Jahr, die vor allem zur Förderung klimafreundlicher Technologien wie zum Beispiel E-Ladesäulen und grünem Wasserstoff eingesetzt werden sollten.
Die CDU/CSU-Fraktion klagte gegen dieses Manöver – und bekam an jenem 15. November 2023 Recht. Das Vorgehen habe gegen das Grundgesetz und der Gesetzgeber gegen mehrere Grundsätze verstoßen, die für Bundeshaushalte gälten, beschieden die Karlsruher Richter:innen. Einer dieser Grundsätze: Die Schuldenbremse schreibe vor, dass höhere Neuverschuldung nur in Notlagen und Krisen zulässig sei. Die Regierung habe aber nicht ausreichend begründet, warum sie die 60 Milliarden vom einen in den anderen Topf umgeschichtet habe.
In Reaktion auf das Urteil kündigte Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) am vergangenen Donnerstag überraschend an, die Schuldenbremse für dieses Jahr nun doch durch die Erklärung einer außergewöhnlichen Notlage erneut auszusetzen.
Es ist jedoch wahrscheinlich, dass diese vermeintliche Kehrtwende wenig mehr ist als eine Verzweiflungstat, die nur vollzogen wird, um die akutesten Auswirkungen der Haushaltslücke zu überbrücken. So beeilte sich Lindner nach der Bekanntgabe, die Ampelkoalition auf einen harten Sparkurs einzuschwören, bei dem es um 2-stellige Milliardenbeträge gehe. »Wir reden von einem erheblichen zusätzlichen Konsolidierungsbedarf.
So stehen nach wie vor
- Der Industriestrompreis, mit dem stromintensive Industriezweige entlastet werden sollen.
- Hilfen für Chipfabriken, die Deutschland und Europa unabhängiger von Hightechimporten aus Fernost machen sollen.
- Die Umstellung auf klimafreundliche Stahlproduktion mithilfe von Wasserstoff.
- Der Bau von Produktions- und Forschungsanlagen für E-Auto-Batterien sowie der staatliche Zuschuss beim Kauf eines E-Autos.
- Klimaschutzverträge, die strukturschwachen Regionen beim Übergang zu einer klimafreundlichen Wirtschaft helfen sollen.
- Die Einspeisevergütung für erneuerbaren Strom, die den Bau neuer Fotovoltaik- und Windkraftanlagen rentabel macht.
All diese Programme hat die Ampelkoalition in den vergangenen Jahren und Monaten mühsam erkämpft, sie sind enorm wichtige Bausteine, um Deutschlands Wirtschaft fit zu machen für eine klimaneutrale und innovative Zukunft. Viele Unternehmen, Bauherr:innen, Investor:innen und auch Privatleute haben sich auf die Hilfen eingestellt und sie fest eingeplant. Weitere Einschnitte könnten sich sogar negativ
Ein harter Sparkurs kennt also nur Verlierer:innen und käme einer Bankrotterklärung für die Politik gleich. Also, was tun?
Hier sind 3 Optionen, um den Weg für Zukunftsinvestitionen freizumachen.
Option 1: Sparen – aber an den richtigen Stellen
Kaum war das Urteil des Bundesverfassungsgerichts verkündet, brach die Opposition eine Debatte über nun nötige Sparmaßnahmen vom Zaun. Die Union zielte dabei vor allem auf Sozialleistungen und Klimaschutzmaßnahmen: »Es geht eben nicht mehr alles«, sagte CDU-Chef Merz und forderte die Regierung auf,
Eine mehr als fragliche Stoßrichtung, sowohl angesichts der
Wir wollen zusätzliche Haushaltsspielräume dadurch gewinnen, dass wir im Haushalt überflüssige, unwirksame und umwelt- und klimaschädliche Subventionen und Ausgaben abbauen.
Die klimaschädlichen Subventionen belaufen sich schätzungsweise auf 65 Milliarden Euro – und zwar pro Jahr. Zwar ließen sich diese Subventionen nicht über Nacht streichen, sondern nur schrittweise über die nächsten Jahre abbauen. Doch das nach wie vor klaffende Finanzloch wäre wohl schon ein gutes Stück gestopft. Mal ganz davon abgesehen, dass diese klimaschädlichen Subventionen auch unabhängig von der jüngsten Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts die Klimamaßnahmen der Ampelkoalition konterkarieren und unnötig verteuern.
Zu den größten Posten gehören die Dieselsubventionen, die Steuerbefreiung von Kerosin und die Pendlerpauschale. Letztere auf den Prüfstand zu stellen, forderte jüngst auch ein Bündnis aus Klima-Allianz, Caritas und WWF Deutschland.
Die Grundlagen zum Thema findest du hier:
Option 2: Einnahmen erhöhen
Es ist zuweilen bizarr, wie eindimensional die Debatten in Politik und Medien verlaufen. Da wird sich mit Ideen überboten, wo denn nun am meisten gestrichen werden kann. Geflissentlich ignoriert wird indes eine Option, die seit Jahren auf dem Tisch liegt: nämlich die Einnahmen zu erhöhen.
Kommt die Sprache doch darauf, heißt es von der FDP reflexartig: »Steuererhöhungen sind mit uns nicht zu machen!« So auch in der aktuellen Debatte, in der Lindner
Dabei behaupten Merz wie Lindner immer wieder fälschlicherweise, dass eine
Das ist schlicht falsch. Es geht hier um eine extrem wohlhabende, absolute Minderheit. Und die, die noch immer glauben oder behaupten, dass die Gesamtgesellschaft vom Konsum der Superreichen durch den Durchsicker-Effekt (Trickle down) profitiert und so Arbeitsplätze geschaffen werden, die muss ich enttäuschen. Diese alte Idee ist wissenschaftlich längst widerlegt:
Inzwischen ist es so weit, dass sich einige Hochvermögende bereits höhere Steuern für sich selbst wünschen, um einen fairen Beitrag zur Bewältigung der mannigfachen Krisen liefern zu können. Warum davon am Ende sogar die Demokratie profitieren würde, erfährst du hier:
Ach ja, und das Klima natürlich auch, wie eine Analyse der Entwicklungsorganisation Oxfam ganz aktuell einmal mehr unter Beweis stellte. So hat das reichste Prozent der Weltbevölkerung 2019 so viel klimaschädliche Treibhausgase verursacht wie die ärmeren 2/3. In Deutschland verursachte das reichste Prozent 83,3 Tonnen CO2-Emissionen pro Kopf – 15-mal so viel wie die ärmere Hälfte.
Wie dieses Problem konkret angegangen werden kann, erfährst du hier:
Option 3: Schulden machen – aber bitte nur für Zukunftsinvestitionen
Natürlich ist es nicht falsch, die eigenen Ausgabepläne in einer solchen Situation kritisch und rational zu überprüfen. Doch eines darf dabei nicht aus dem Blick geraten: Im Vergleich zu manch anderen Industrieländern leben wir hierzulande ganz und gar nicht über unsere Verhältnisse.
Trotz dieser Zahlen gibt es ohne neue haushaltspolitische Tricks derzeit keinen Spielraum. Schließlich ist die Schuldenbremse seit 2011
Wie eingangs angedeutet gibt es Möglichkeiten, diese auszusetzen, wenn die Bundesregierung das durch eine außergewöhnliche Krise oder Notlage ausreichend begründet – so wie es nun nachträglich noch für das Jahr 2023 geschehen soll. Trotzdem bleibt für Lindner und weite Teile seiner Partei die Einhaltung der Schuldenbremse Staatsräson.
Weil es aus diesen politisch-ideologischen Gründen aktuell nicht realistisch erscheint, die Schuldenbremse grundlegend zu reformieren, bliebe noch immer die Option »Sondervermögen«. Wie in Sachen Bundeswehr könnte auch der Klimaschutz mit einem solchen Sondervermögen finanziert werden. Dafür bräuchte es allerdings eine verfassungsändernde Mehrheit im Bundestag, also 2/3 der Abgeordneten – ohne die Unionsparteien ginge hier nichts.
Bei Redaktionsschluss gab es bis auf wenige Ausnahmen – wie den
Da aber auch viele Industriekonzerne ein Interesse an den aktuell auf der Kippe stehenden Projekten zur Transformation der Wirtschaft haben – Stichworte »grüner Stahl« und »Chipfabriken« –, könnte hier aber in den nächsten Tagen und Wochen noch Bewegung in die Sache kommen.
Das Schöne an Investitionen: Sie versprechen am Ende auch Rendite
So oder so: Die zweifellos teuerste Variante ist es, nichts zu tun und Wirtschaft und Infrastruktur des Landes aufgrund des selbst auferlegten Schuldenenthaltungsdogmas weiter auf Verschleiß laufen zu lassen. Trotz der viel zitierten Verantwortlichkeit für die kommenden Generationen die Wirtschaft erdrosseln und beim Klimaschutz versagen – ist das
Die Wissenschaft hat bereits mehrfach vorgerechnet, was eigentlich selbsterklärend ist: Investitionen in die Zukunft lohnen sich.
So rechnete das Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) und das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) bereits 2019 vor, dass der Staat jährlich etwa 45 Milliarden Euro zusätzlich über mindestens 10 Jahre investieren sollte. Auf diese Weise könnte nicht nur der Investitionsstau in den Kommunen aufgelöst, sondern auch Fortschritte in der Bildungsqualität, Daten- und Verkehrsnetzen sowie der Dekarbonisierung des Landes ermöglicht werden. Das Beste daran:
Kreditfinanzierte Investitionen, die dazu beitragen, Deutschland zu einem klimaneutralen, digitalisierten und forschungsstarken Industriestandort zu machen, sind ökonomisch sinnvoll. Sie würden die Rückführung der Schuldenstandsquote zwar verlangsamen, die Verschuldung würde relativ zur Wirtschaftsleistung aber dennoch stetig sinken, zumal die Zukunftsinvestitionen die Wirtschaftsleistung erhöhen und somit die Schuldentragfähigkeit günstig beeinflussen.
Die Forschenden empfehlen daher, die Schuldenbremse zu modifizieren und eine »Goldene Regel« einzuführen, die Investitionen bis zu einer bestimmten Höhe von der Neuverschuldungsbegrenzung ausnimmt. Dies soll dazu beitragen,
Das würden auch viele junge Leute eben dieser kommenden Generationen begrüßen. Die fürchten sich nämlich weniger vor der Schuldenuhr in Berlin als vielmehr vor der Klimakrise, maroder Infrastruktur und erstarkenden Populist:innen.
Mit Illustrationen von Frauke Berger für Perspective Daily